Rudolf Steiner und Yoga ? Die Anthroposophie und ihr Verhältnis zum Yoga
Rudolf Steiner (1861 – 1924) war in den ersten Jahren Mitglied der Theosophischen Gesellschaft; nach der Trennung gründete er die heute bekannte Anthroposophie, deren Gesellschaft er selbst vorstand. Er erforschte in einem bisher nie dagewesenen Umfang und in einer detaillierten Beschreibung die Verhältnisse in den seelisch-geistigen Welten. Er war ein Eingeweihter.
Hinsichtlich der Frage nach einer zeitgemäßen geistigen Entwicklung des Menschen erforschte er die Yogaphilosophien und kam zu dem Schluss, dass die traditionelle Yogaphilosophie für den heutigen und westlichen Menschen nicht geeignet sei, da es sich um eine „rückwärtsgewandte“ Spiritualität handelte, die seines Erachtens nicht den Notwendigkeiten des heutigen und westlichen Menschen entsprach.
Er hielt einige Vorträge über die Yogaphilosophie und beschrieb beispielsweise die Anlage der Chakren im Menschen und gangbare mentale Übungen; in dem Buch „Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten“ nachzulesen. Insgesamt war er aber alles andere als ein Vertreter des klassischen Yoga. 1919 hielt er einen Vortrag über den „Neuen Yogawillen“
„Die alte Yogakultur und der neue Yoga- Wille“
In diesem sehr bedeutsamen Vortrag beleuchtete er die Bewusstseinsentwicklung der Menschheit über mehrere tausend Jahre und beschrieb auch die Veränderungen in der Konstitution des Menschen. Das Christus -Ereignis bedeutete seiner Meinung nach einen Wendepunkt, der mit der Veränderung der Luft bzw. Atmosphäre einhergehe. Früher hätten die Yogins noch die Möglichkeit gehabt über die Atmung das Göttliche einzuatmen (daher auch die Wirksamkeit des Pranayama), da sich Göttliches im Luftraum aufhielt. Mit dem Christus- Ereignis sei dies aber nicht mehr möglich.Die Luft sei seit dieser Zeit entseelt und ein neuer Prozess innerhalb der Spiritualität geboren: Nicht mehr in der Luft, sondern im Licht findet sich nun der Anknüpfungspunkt zur Spiritualität.
Er beschrieb die Veränderung in einem Wandel vom sogenannten Luftseelen- zum Lichtseelenprozess. Was dies bedeuten könnte und was sich dadurch für die Yogapraxis verändern sollte – dazu kommen wir später beim Neuen Yogawillen noch konkreter.
Rudolf Steiner formuliert daraus einen neuen Ansatz der Bewusstseinsentwicklung, die zukunftsorientiert sein sollte, im Gegensatz zum Yoga, der eine Rückverbindung zu einem vergangenen Bewusstseinszustand anstrebt. Mit dem „Neuen Yogawillen“ formulierte er einen zukünftigen Yoga und gab gleichzeitig eine geisteswissenschaftliche Grundlage dazu. Der Vortrag ist in dem Taschenbuch Wege der Übung enthalten
Wurde die Ansicht Steiners von anderen Forschern geteilt?
Otto Albrecht Isbert (1901 – 1986), ein Völkerkundler, förderte die Begegnung und den Dialog zwischen den Yogaforschenden und-praktizierenden von östlichen und westlichen Bewusstseinsansätzen in der Yogaszene in Europa.
Da er Kenntnisse von der Anthroposophie hatte und um die geisteswissenschaftlichen Ansätze Rudolf Steiners wusste (um die Kritik am traditionellen indischen Yoga, wie auch um die Perspektiven eines Yoga für den westlichen und zukünftigen Menschen) , konnte er sehr gut vermittelnd und richtungsweisend tätig werden. Er schrieb einige hervorragende Bücher, die heute noch angenehm zu lesen sind, wie z.B. „ Yoga – Arbeit am Selbst“. Er war auch Mitbegründer vom BDY, aber er wurde leider kaum gehört und auch schnell vergessen.
Christian Fuchs kommentierte in seiner Doktorarbeit „Die Rezeption des Yoga in Deutschland“, 1989 wie folgt: „Als ausdrücklicher Befürworter einer engen Verbindung von Yoga und Anthroposophie wollte sich der 1986 verstorbene O.A. Isbert verstanden wissen. In zahlreichen Beiträgen setzte sich dieser „alte Anthroposoph“ für eine Verständigung beider Systeme ein. In seinem letzten Artikel zu diesem Thema „Anthroposophie und Yoga gehören zusammen!“ gab Isbert der eigentlichen Enttäuschung über die ablehnende Haltung vieler Anthroposophen noch einmal Ausdruck: Yogastrebende … stehen immer wieder vor einem Rätsel, wenn sie der oft hochmütigen, zumindest aber schroffen Ablehnung unseres Übungsweges von Seiten der heutigen Anthroposophen begegnen. Es ist in der Tat erstaunlich, wie innerhalb dieser durchaus ernst zu nehmenden Geistesrichtung offensichtlich eine Bildungslücke klafft. Denn was zur Zeit von anthroposophischer Seite über den Yoga geschrieben wird … , ist nicht nur dürftig, sondern ungenügend und falsch, vielleicht sogar verächtlich.
Nach eigenem Bekunden fühlte sich Isbert mit seiner „Mission“ als „einsamer Rufer in der Wüste“. Wie er selbst konstatierte, ist die heutige Distanz der Anthroposophen zum Yoga unverkennbar.“
Ein weiterer Forscher, der diesen Ansatz teilt ist Heinz Grill (geb. 1960). Er hat in den letzten 35 Jahren einen modernen Yoga- und Geistschulungsweg geschaffen, der die Ansicht Rudolf Steiners teilt, dass es heute eine eine freie Spiritualität und einen neuen Yoga benötigt, die nach vorne in die Zukunft und nicht „rückwärts gewandt“ im Sinne einer Rückverbindung an Vergangenes, sind. Auch schenkt er den Lichtseelenprozessen (Gedanken- und Sinnestätigkeiten) mehr Aufmerksamkeit, als den Luftseelenprozessen mit ihrer Energetisierung über den Atem.
Die Körperübungen nahm Heinz Grill im Gegensatz zu Steiner hinzu und arbeitete sie in seinem Lebenswerk soweit aus, dass sie nicht mehr ein Mittel zum Zweck, sondern zum ästhetischen Ausdrucksmittel für die geistigen Aktivitäten wurden. Wie dies konkret aussieht finden Sie bei Heinz Grill und Der Neue Yogawille ausführlich dargestellt.
Damit schuf er eine Synthese von Anthroposophie und Yoga. Es entstand dabei keine neue Yogarichtung (!), sondern ein ganz freier Ansatz der sich nicht an ein System oder Richtung anlehnt.
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