Tirumalai Krishnamacharya (1888 – 1989)
Geschätzter und berühmter Gelehrter der indischen Schriften, Wegbereiter des Hatha- Yoga in der Neuzeit und Ayurvedischer Heiler Indiens
Er wurde in einer Brahmanenfamilie hineingeboren und vom Vater ab seinem 5. Lebensjahr in die heiligen Schriften eingeweiht. Von 1916 – 1924 begab er sich in den Himalaya, wo er Sri Ramamohan Bramachari in einer Höhle im Himalaya am Kailash aufsuchte, um bei ihm 7 ½ Jahre zu lernen. Er lernte dort 3000 Asanas und Pranayama, und insbesondere weitere alte Schriften kennen. Sie wurden – wie es traditionell üblich war -, mündlich überliefert. Der Meister gab ihm zum Abschied den Auftrag ein Buch mit dem Titel die „Yoga-Kurunta“ zu suchen, das er schließlich als Abschrift in einer Bibliothek in Kalkutta fand. Dieses gilt als das einzige Buch, in dem die überlieferten Körperübungen schriftlich niedergelegt wurden. Leider wurde es danach bis zur Unkenntlichkeit von Ameisen zerfressen. So die Überlieferung.
Hier nun ein Film von 1938 (!), in dem Krishnamacharya selbst zu sehen ist.
Seine Körperübungen stammten zunächst aus einem großen philosophischen System, die von einzelnen weisen Menschen gepflegt wurden wie beispielsweise Sri Ramamohan Bramachari, bei dem Krishnamacharya gelernt hatte. Später kamen jedoch noch weitere bemerkenswerte Strömungen hinzu.
1924 ging er wieder zurück nach Mysore, heiratete und gründete eine Familie. Der Maharadscha von Mysore bat ihn zu sich, um die königlichen Familienmitglieder in Yogaasanas zu unterrichten. Es folgte eine Eröffnung der Yogashala, in der Krishnamacharya im Namen des Mahardaschas Yoga zuerst für die Königsfamilie, dann auch für die Bevölkerung unterrichtete.
Die Körperübungen des Yoga werden zum „Volkssport“
Noch waren die Yogaübungen kein Volksgut, wie man aus unserer heutigen und westlichen Sicht meinen könnte. Es gab wohl Fakire, die ihr beachtliches Können auf Märkten zur Schau stellten, doch sie waren asketische Sonderlinge. Yoga war bis dahin verpönt. Krishnamacharya hatte deshalb Pionierarbeit zu leisten. Er war ein sehr experimentierfreudiger und fortschrittlich denkender Mann; dass die Körperübungen des Yoga zum „Volkssport“ wurden, war Krishnamacharyas Lebenswerk.
Der Maharadscha von Mysore wollte im von den Engländern besetzen Indien eine wehrfähige Königsfamilie und ein wehrhaftes Volk ausbilden.
Interessanter Weise war Krishnamacharya nicht der einzige am Hof des Mahardascha, der die Körperertüchtigung vorantrieb. Vor ihm war Bodybuilding nach dem System von K.V. Iyer schon etabliert. Dies wird in der Yogaliteratur jedoch kaum erwähnt, obwohl Krsishnamacharya gleich zu beginn seiner Tätigkeit dort und bei anderen Lehrern (z.B. bei Swami Kuvalayanananda in Lovala) hospitierte und gesichert viele dieser Anregungen in seine Übungspraxis mit einbezog.
Die Rezension von Reto Zbinden über Marc Singeltons Buch „Yoga Body – The origins of modern Posture Practice“- Die Geschichte des modernen Körperyogas – ist hochinteressant und gibt tiefen Einblick in die Strömungen in dieser Zeit.
Das Motiv des reinen körperlichen Trainings trifft fast zeitgleich auf die Bestrebungen in Deutschland bzw. Europa, als Körperübungen zur „Volksertüchtigung“ eingeführt wurden. Die „Lingsche Gymnastik“, ein Ausbildungssystem der schwedischen Armee des 19. Jh., und später die Dänsiche Gymnastik nach Niels Bukh, die beide beim Britischen Millitär in Indien angewendet wurden und zahlreiche weitere Formen der Körperertüchtigung wie der Kraftsport (Bodybuilding) sind am Hof des Maharadscha in dieser Zeit populär.
Er entwickelte aus all diesen Strömungen einen sehr dynamischen und herausfordernden, akrobatisch anmutenden Übungsstil, der ständig neu variiert wurde und den jungen Menschen sehr entgegenkam. Das entsprach ganz der Aufgabe, die ihm der Maharadscha gestellt hatte. Diese Impulse setzten sich in unterschiedlicher Weise im Ashtangayoga von Patthabi Jois und Iyengar Yoga fort. Es war reines Körpertraining.
Bedenkt man, dass durch die Kolonialherrschaft Englands ein reger Austausch zwischen den Kontinenten stattfand, ist es nicht ganz verwunderlich, dass sich beide Bestrebungen schon früh vermischten.
Veränderungen in der zweiten Lebenshälfte
Als die Englische Besatzungsmacht aus dem Land abzog und Indien unabhängig wurde, wurde auch die Yogashala in Mysore geschlossen und Krishnamacharya zog danach nach Madras in ärmliche Verhältnisse. Dort unterrichtete er fast ausschließlich im Einzelunterricht oder ganz kleinen Gruppen. Ob das aus den Platzverhältnissen heraus entstand oder aus einem Prinzip des Unterrichts ist aus der Literatur nicht eindeutig ersichtlich. Er hatte keine festen Abfolgen mit Übungsreihen, sondern praktizierte sie experimentierfreudig immer wieder in neuer Auswahl und individuell auf den Schüler ausgerichtet. Dieses individuelle Beziehungsverhältnis ist bemerkenswert, denn er setzte darin Heilkräfte für seine Aspiranten frei. Er nutzte den Yoga zu Heilzwecken, las den Überlieferungen zufolge gelegentlich Mantras aus den heiligen Schriften vor und lies diese während der Praxis rezitieren.
Krishnamacharya lehrte bis zu seinem Tode – er wurde 101 Jahre alt – und verfügte nach Berichten zufolge über erstaunliche Kräfte. Beispielsweise wird berichtet, dass er sein Herz zwei Minuten stillstehen lassen konnte und einen schweren Beckenbruch in hohem Alter selbst heilte. Er hat erstaunliche Heilkräfte bei sich und seinen Patienten freisetzen können. Andererseits waren die Körperübungen, zumindest als er im Auftrag des Maharadschas den Yoga unter der Bevölkerung verbreitete sehr materiell und rein körperlich ausgerichtet.
Seine bekanntesten Schüler sind:
Indra Devi (1899 – 2002) eine der wenigen Frauen, sie ging nach Amerika und verbreitete dort den Yoga, sowie B.K.S. Iyengar und Patthabi Jois, von denen noch ausführlicher die Rede sein wird.
Der älteste Sohn TKV Desikachar (1938- 2016) lernte beim Vater in dessen letzten 30 Lebensjahren. In Madras / Chennai, betrieb er bis zu seinem Tod eine internationale Yogaschule. Bekannt geworden ist diese Umgangsart und Stilform als „Viniyoga“, den er bis heute in seiner Tradition weiter unterrichtete. Desikachar ist ebenso bescheiden und unauffällig, obwohl er durch seinen Vater weltberühmt wurde. Auch er unterrichtete – wie sein Vater zuvor – unentgeltlich in seinem Zentrum in Cennai (Madras). Seinen Unterhalt finanzierte er durch Spenden.
Krishnamacharya war ein Wegbereiter des Hatha Yoga, jedoch nicht der einzige, wie es im Westen gerne dargestellt wird. Es gibt unterschiedliche Quellen und zahlreiche Pioniere, die teilweise hier erwähnt werden und ebenfalls ihren Beitrag zur Verbreitung der Körperübungen leisteten.
Weiterführende Literatur und Filmempfehlungen:
Der Kinofilm „Der atmende Gott“. Eine Rezension von Reto Zbinden: Krishnamacharya im Lichte seiner Anhaenger (2)
Buch: „Der Yoga und das Reich der Verstorbenen – einige maßgebliche Persönlichkeiten des Yoga und ihr Weiterwirken nach dem Tode“ von Heinz Grill
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Bildquellen
- Krishnamacharya-Mysore–1853869491: /?q=krishnamacharya+mysore&t=newext&atb=v229-1&iar=images&iax=images&ia=images&iai=https%3A%2F%2Finsayoga.com%2Fwp-content%2Fuploads%2F2017%2F01%2FKrishnamacharya-Mysore-.jpg