Der Begriff āsana beschreibt eine Haltung oder Stellung1. Im Raja-Yoga, welcher auch Königlicher Yoga genannt wird, ist āsana das dritte Glied eines achtstufigen Pfades. Patanjali verfasste vor rund 2000 Jahren die sogenannten Yoga-Sutren, in denen er in knappen Sätzen die Philosophie und Praxis des Yoga beschreibt. Dieses Werk bildet heutzutage für viele Yoga-Richtungen die Grundlage des Übens und ist auch verbreitet unter dem Begriff ashtanga-Yoga, was mit Gliederung oder Stufenfolge übersetzt werden kann.
Mit āsana sind im ursprünglichen Sinne jedoch nicht die heute so vielfältig verbreiteten Körperpositionen gemeint, vielmehr drückt sich damit zunächst eine bestimmte Sitzhaltung am Boden aus. In den yoga-Sutren wird āsana in drei Versen relativ knapp beschrieben.2
II, 46: sthira-sukham-āsanam
Die Sitzhaltung ist stabil und angenehm.
Die āsana war keinesfalls eine Methode zur Optimierung des Körpers sondern eine wichtige Grundlage für die weitere Meditationspraxis, in der der Körper seine natürliche Einordnung gefunden hat. Er sollte einerseits stabil und fest, zugehörig zur Materie erlebt werden, sich nicht aufdrängen und andererseits eine gewisse Leichtigkeit zum Ausdruck bringen.
Sinngemäß kann diese Beschreibung auch als ,,wirklich glückliche Stellung“ übersetzt werden.
II, 47: prayatna-śaithilya-ananta-samāpatti-bhyām
Sie ist gekennzeichnet durch Freiheit von Spannungen und der Ausrichtung zum Unendlichen.
Die Spannungen können sich einerseits auf körperliche Zustände beziehen, oder weiter gefasst auch auf seelische Spannungen, die durch die irdische Welt natürlicherweise gegeben sind und den Menschen allein durch das In-der-Welt-Sein begleiten.
Da aber die vergängliche irdische Welt und somit der Körper ihre entsprechende intuitive Einordnung fanden, konnte das Bewusstsein sich klarer zum Gegenpol des Unendlichen ausrichten. Auch kann diese Bewegung andersherum betrachtet werden, dass durch die Ausrichtung zum Unendlichen die Freiheit von Spannungen entsteht. Das Zurückweichen der materiellen, irdischen Spannungen hängt also mit der Ausrichtung des Bewusstseins hin zu einer geistigen Dimension zusammen.
III, 48: tato dvaṅdva-an-abhighātaḥ
Diese Haltung erlaubt Freiheit von Polaritäten und Freiheit von Angriffen.
Die irdische Welt zeichnet sich gewissermaßen durch die Zweiheit aus, die in den unterschiedlichsten Erscheinungen ihren Ausdruck findet. In diesem Spannungsfeld befindet sich auch der Mensch, solange er sich nicht Kraft seines Bewusstseins darüber erhebt und sich einer größeren Dimension annähert die sich der irdischen Polaritäten enthebt.
Dieser Zustand wird durch die Umsetzung und Übung der weiteren Schritte der achtstufigen Pfades angestrebt. Das Bewusstsein identifiziert sich somit nicht mit dem Körper, dem Vergänglichen, sondern richtet sich gedanklich frei auf eine Nicht-irdische, auf eine geistige Dimension aus. Diese Ausrichtung wiederum, führt den Menschen aus dem Nichtwissen in das Wissen, aus der Dunkelheit ins Licht, aus dem Nicht-Sein in das Sein. Durch diese Erkenntnis kann der Mensch den Umständen grundlegend anders entgegentreten und den Gegebenheiten, den Spannungen, den Angriffen verschiedenster Art entgegentreten ohne sich darin zu verwickeln.
1 Heinz Grill,Die Vergeistigung des Leibes, Lammers-Koll, 2004
2 http://yoga-praxis.de/wp-content/uploads/2015/12/Yoga-Sutra.pdf